Offener Brief an die Mitglieder der CDU und der SPD in Sachsen

Sehr geehrte Mitglieder der sächsischen CDU und der sächsischen SPD,

im Wahlkampf wurden die Spitzen Ihrer beiden Parteien nicht müde, uns Eltern und den ErzieherInnen in den sächsischen Kitas eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels zu versprechen. Mit dem jetzt vorliegenden Koalitionsvertrag haben Sie dieses Versprechen eingehalten. Doch wenn wir ehrlich sein dürfen: Mit diesem Ergebnis können wir nicht zufrieden sein.

Auf Seite 16 des Koalitionsvertrages heißt es lapidar: „Wir erkennen die Kindertagespflege als alternatives Angebot für die Betreuung der Kinder zwischen null und drei Jahren an.“ Für uns heißt das: Sie wollen gar nicht, dass sächsische Eltern mit Kindern unter drei Jahren auf Arbeit gehen. Wenn dem so ist, dann haben wir eine Bitte: Sagen Sie das den Eltern, die an fünf Tagen in der Woche ihre Kinder schweren Herzens in der Kinderkrippe abgeben, ehrlich ins Gesicht! Falls Sie anderenfalls wollen, dass Sachsens Eltern mit Kindern unter drei Jahren jeden Morgen ihre Kinder mit einem ruhigen Gewissen in der Kinderkrippe bringen, dann verweigern Sie Ihre Zustimmung zu dem jetzt vorgelegten Koalitionsvertrag und überzeugen Sie die Spitzen Ihrer Parteien davon, dass ab 2015 in den sächsischen Kinderkrippen ein Personalschlüssel von 1:3 gilt!

In den Kindergärten sieht der Koalitionsvertrag eine schrittweise Absenkung des Personalschlüssels auf 1:12 vor. Sollten Sie Ihr Kind jeden Früh in einen sächsischen Kindergarten bringen, dann wissen Sie, dass das weniger als ein Tropfen auf den heißen Stein ist. An den bekannten Problemen (u.a. Überlastung der Mitarbeiter) wird sich damit nichts ändern. Wir brauchen in den Kindergärten einen Personalschlüssel von 1:7,5, und zwar sofort!

Wir wollen nicht fordern, wir appellieren aber an Ihr Gewissen als Väter und Großeltern, als engagierte Sachsen, denen das Wohl dieses Landes am Herzen liegt: Bitte lassen Sie es nicht zu, dass die Berufsgruppe, der wir unser Liebstes anvertrauen, weiter an ihrer Belastungsgrenze arbeitet: Der Facharzt für Kinder- und Jugendpsychiatrie und Psychotherapie, Dr. Michael Winterhoff, sagt: „Erwachsene können nur zur inneren Ruhe finden und damit intuitiv handeln, wenn keine permanente persönliche Überforderung vorherrscht und stabile Arbeitsprozesse vorgegeben sind. Lediglich im Umgang mit solchen Erwachsenen können Kinder gesund heranwachsen und entwickeln sich zu eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeiten in der Gesellschaft.“(₁)

Geben Sie den ErzieherInnen die Möglichkeit, durch einen besseren Betreuungsschlüssel ihren (enormen) Teil dazu beizutragen, dass sich Sachsens Kinder optimal entwickeln. Befreien Sie das Personal aus seinem „Hamsterrad“, in welchem es der Getriebene ist und öffnen Sie den Ausweg aus der Tyrannei des „Immer-weiter-so“. Denn: „Nur glückliche Erwachsene sorgen für glückliche Kinder!“(₂)

Zahlreiche Aktionen der vergangenen Wochen und Monate haben gezeigt, wie wichtig den ErzieherInnen, Eltern und Großeltern, Gewerkschaften, Sozialverbänden und auch mancher Partei das Thema ist.

Wir wenden uns an Sie als Parteimitglieder, weil wir wissen, dass Sie sich an der Basis mit viel Engagement jeden Tag für ein besseres Sachsen einsetzen, ohne dabei auf ein Amt in Partei oder Regierung zu schielen. Nutzen Sie Ihren Einfluss als Mitglieder und setzen Sie sich für eine deutliche Nachbesserung des Koalitionsvertrages im Punkt des Betreuungsschlüssels ein. Lassen Sie unsere Kinder und ErzieherInnen nicht weiter die Leidtragenden der bisherigen Politik sein – in einem Land, dessen einziger Rohstoff die Bildung ist! Machen Sie den Freistaat Sachsen zu einem der kinderfreundlichsten Bundesländer Deutschlands! Sie investieren damit in die Zukunft und tun das Beste für unsere Nachkommen!

Wir Eltern werden es Ihnen schon heute danken, unsere Kinder morgen!

Mit freundlichen Grüßen

Lars Frischmann                                                    Christian Wobst

 

(₁), (₂) vgl. Winterhoff, Michael Dr. in Zusammenarbeit mit Carsten Tergast.: Lasst Kinder wieder Kinder sein! Oder: Die Rückkehr zur Intuition. Gütersloh: Gütersloher Verlagshaus. 2011

 

Nachtrag am 28. Oktober 2014: Auch die Leipziger Kita-Initiative hat im Internet eine Stellungnahme zum Koalitionsvertrag veröffentlicht. Diese ist online hier zu finden.