CDU und SPD in Sachsen ringen um einen Koalitionsvertrag. Ein Thema dabei ist auch die Verbesserung des Betreuungsschlüssels in den sächsischen Kitas. In Limbach-Oberfrohna machen sich die Stadträte in diesen Tagen und Wochen Gedanken über den Haushalt 2015. Auch mit diesem könnte mehr Geld für Erzieher zur Verfügung gestellt werden, wenn Eltern und Erzieher das wünschen. Aus diesem Grund beantworten wir an dieser Stelle die wichtigsten Fragen zum Betreuungsschlüssel. Diskussionen wie immer gern auf unserer Facebook-Seite.
Was ist ein Betreuungsschlüssel?
In § 12/1 des Sächsischen Kitagesetzes heißt es: „Kindertageseinrichtungen müssen über eine ausreichende Anzahl pädagogischer Fachkräfte für die Leitung und die Arbeit mit den Kindern verfügen. Die Arbeit der Fachkräfte kann durch weitere geeignete Mitarbeiter sowie durch Eltern unterstützt werden.“ Und weiter in Abs. 2: „Es gelten in der Regel folgende Personalschlüssel:1. Kinderkrippe: eine pädagogische Fachkraft für 6 Kinder, 2. Kindergarten: eine pädagogische Fachkraft für 13 Kinder (…)“ Das Problem an der Sache: Nach Angaben der Leipziger Kita Initiative handelt es sich um eine Berechnung mit Vollzeitäquivalenten und nicht um tatsächliche Einzelpersonen, die für je 6 Krippen- oder 13 Kindergartenkinder verantwortlich wären. Urlaubstage und Krankheiten der Erzieherinnen und Erzieher verschärfen die Situation noch deutlich. D.h. in der Regel kümmert sich eine Erzieherin bzw. ein Erzieher um deutlich mehr als sechs bzw. 13 Kinder.
Wie wichtig ist ein guter Betreuungsschlüssel für die optimale Entwicklung der Kinder?
Wir wissen alle zusammen, wie schwer es mitunter ist, ein oder gar zwei Kinder zu bändigen. Wie kompliziert ist es dann erst mit sechs oder 13 Kindern? Fakt ist: Wir haben uns alle bewusst dafür entschieden, unsere Kinder den Erzieherinnen und Erziehern in einer Kita anzuvertrauen. Wir wünschen uns, dass die Kinder sich in dieser Zeit bestmöglich entwickeln. Im besten Fall leistet eine Kita das, was eine gut funktionierende Familie leisten sollte (ohne sie dabei zu ersetzen). Dazu gehört unter anderem, dass die Kinder jeden Tag an der frischen Luft sind, ihnen vorgelesen und mit ihnen gespielt wird, wenn sie das Bedürfnis dazu haben. Und dass ihnen all die Dinge vermittelt werden, die sie brauchen, um sich zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit zu entwickeln. Wir möchten deutlich betonen: Die Erzieherinnen und Erzieher in den Kitas arbeiten an der Belastungsgrenze. Sie leisten jeden Tag Unvorstellbares. Mehr geht nicht! Dennoch kam die Bertelsmann-Stiftung im Juli für Sachsen zu dem Schluss: In der frühkindlichen Bildung bleibt gute Qualität oftmals auf der Strecke, weil viele Kindertageseinrichtungen nicht genügend Erzieherinnen und Erzieher haben.
Welche Folgen hat ein schlechter Betreuungsschlüssel?
Die Leipziger Kita Initiative hat in verschiedenen Leipziger Kinderbetreuungseinrichtungen nach den Arbeitsbedingungen und Problemen gefragt. Die Rückmeldungen sind mehr als beunruhigend: „Wir können den Betrieb nur mit Schülerpraktikantinnen aufrecht erhalten.“ // „Jeder Krankheitsfall bringt uns an unsere Grenzen, es gibt keine Erzieher, die einspringen können.“ // „Ich habe so viele Überstunden, dass ich bis Herbst Urlaub machen könnte.“ // „Pädagogische Arbeit ist nicht mehr möglich, es geht nur noch darum, das Chaos zu verwalten.“ // „Ich habe mir die Arbeit wertvoller vorgestellt.“ In Chemnitz melden sich die Erzieher immer öfter krank. Immerhin scheint in Leipzig ein Umdenken einzusetzen. „Eine Verbesserung der Personalschlüssel in Krippe, Kindergarten und Hort würde die Qualität der Betreuung der Kinder erhöhen. Auch die Arbeitsbedingungen der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter würden damit verbessert“, wird Sozialbürgermeister Thomas Fabian in einer im Juli verbreiteten Presseinformation der Stadt zitiert.
Wie ist der Betreuungsschlüssel in anderen Bundesländern?
Die Personalschlüssel für Kitas in Sachsen weichen nach Angaben der Bertelsmann-Stiftung erheblich von einem kindgerechten und pädagogisch sinnvollen Betreuungsverhältnis ab. In Sachsen ist eine Erzieherin für nahezu doppelt so viele Kinder zuständig wie in Bremen oder Baden-Württemberg. Bei den Kindergarten-Gruppen ist die Betreuungssituation nur noch in Mecklenburg-Vorpommern schlimmer. Bei den Kindergarten-Gruppen kann der Freistaat immerhin noch Sachsen-Anhalt überholen.
Welcher Betreuungsschlüssel wäre angemessen?
Von Experten gibt es zwei Vorschläge, die die folgende Grafik deutlich macht:
Betreuungsschlüssel in Sachsen
Sächs. Kita-Gesetz | Forderung der Kita-Initiative | Empfehlung der Bertelsmann-Studie | |
Kinderkrippe | 1:6 | 1:4 | 1:3 |
Kindergarten | 1:13 | 1:10 | 1:7,5 |
Horte | 1:20 | 1:16 | k.A. |
Wer ist schuld am miesen Betreuungsschlüssel in Sachsen?
Landesregierung und Kommunen schieben sich gegenseitig den „Schwarzen Peter“ zu. Fakt ist: Der oben zitierte § 12 des Sächsischen Kitagesetzes legt das Mindestmaß im Betreuungsschlüssel fest. „Eine freiwillige Verbesserung ist in jeder Kita und jeder Kommune möglich“, sagt Thomas Schumann. Der Elternratsvorsitzende einer Wurzener Kita hat die unglaubliche Leistung vollbracht und 70.000 Eltern zur Unterschrift unter eine Petition bewegt, die sich für mehr Erzieher in sächsischen Kitas ausspricht. Wie die ehemalige schwarz-gelbe Landesregierung anschließend mit den Unterschriften und den Wünschen der Eltern umgegangen ist, ist ein Lehrbeispiel dafür, wie Demokratie nicht funktionieren sollte. „Nach der Übergabe am 13.12.2013 hatte unsere Petition einen Schlafmodus eingenommen. Keiner konnte mir beantworten, was mit unserer Petition passiert ist und niemand hat im Landtag von Ihr gehört. Ich konnte herausfinden, dass aber ein paar Landesbedienstete mit unserer Petition überfordert/beschäftigt sind. Auszählung der Stimmen, Kontrolle der sachlichen Richtigkeit etc. pp“, schreibt Thomas Schumann.
Erhöhen sich durch mehr Personal in den Kitas die Betreuungskosten für die Eltern?
Nein. In einem Land, in dem wir als Steuerzahler mit bis zu 2,5 Milliarden Euro für die Pleite der Sächsischen Landesbank haften – während die wirtschaftlich und politisch dafür Verantwortlichen nicht zur Verantwortung gezogen werden – sollte die Kinderbetreuung grundsätzlich kostenlos sein. In § 15 des sächsischen Kitagesetzes heißt es zu den Elternbeiträgen: „Die ungekürzten Elternbeiträge sollen bei Krippen mindestens 20 und dürfen höchstens 23 Prozent, bei Kindergärten und Horten mindestens 20 und höchstens 30 Prozent der zuletzt nach § 14 Abs. 2 bekannt gemachten Betriebskosten betragen.“ Sollen ist zwar kein Kann, aber auch kein Muss! Natürlich wird es Politiker geben, die unter Eltern die Angst schüren werden, dass mit mehr Personal auch die Betreuungskosten steigen. Als Eltern von Kita-Kinder müssen wird dann aber auch fragen, warum Schulen und Universitäten kostenlos sind.
Lösen Assistenzkräfte, FSJler, Omas und Opas das Problem?
„Ein klares Nein!!! Assistenzkräfte haben vom Gesetz her nicht die Kompetenz, allein auf die Kinder aufzupassen. Es muss immer eine Fachkraft dabei sein. Bei FSJlern verhält es sich ebenso“, sagt Thomas Schumann aus Wurzen. Die Freie Elterninitiative Chemnitz (Frech) hat am Wochenende vorgeschlagen, engagierte Eltern zur Mitwirkung in den Kitas der Stadt zu gewinnen. Ein Geschäftsführer eines Trägers mit mehreren Kitas fand zum Einsatz von Assistenzkräften kürzlich ein schönes Beispiel: Es heißt immer, wenn ein Kind ein Glas Wasser umwirft, dann kümmert sich die Erzieherin um das Kind und die Assistenzkraft stellt das Glas wieder hin und wischt die Pfütze weg. Pädagogische Arbeit, so der Geschäftsführer, sei es aber, wenn die Erzieherin gemeinsam mit dem Kind erarbeitet, warum das Glas umgefallen ist, welche Folgen das hat und am Ende beide zusammen das „Unglück“ beseitigen.
Was können Eltern konkret für eine Verbesserung des Betreuungsschlüssels tun?
Suchen Sie schriftlich oder persönlich den Kontakt zu den Landtags- und Stadtratsabgeordneten. Machen Sie dabei deutlich, dass sich am Betreuungsschlüssel unbedingt etwas ändern muss. Sachsens SPD-Chef Martin Dulig hat in einem Interview mit der „Freien Presse“ (Ausgabe vom 22. August) erklärt: „Ich werde keinen Koalitionsvertrag unterschreiben, der nicht die gesetzliche Verbesserung des Betreuungsschlüssels vorsieht.“ Und Jan Hippold, CDU-Landtagsabgeordneter und CDU-Stadtrat in Limbach-Oberfrohna, wird in der „Freien Presse“ vom 19. August mit den Worten zitiert: „Wir wollen, dass es ab 2015 mehr Erzieher in sächsischen Kitas gibt.“ Was auch immer bei den Koalitionsverhandlungen in Dresden herauskommt: Es steht den Kommunen in Sachsen natürlich frei, im städtischen Haushalt mehr Geld für Erzieher bereitzustellen.